„Das wichtigste Mentaltraining im Ausdauersport ist die Einhaltung eines komplexen Trainingsplanes. Wenn man bei Wind und Wetter seine planmäßigen Trainingseinheiten abspult, kann Dich im Wettkampf nichts überraschen“.
Ich glaube es war Bennie Lindberg, bei dem ich ’s sinngemäß so gelesen habe.
Nun, ich bin gerade in Vorbereitung auf meinen nächsten Marathon und wenn die Zeit es zulässt versuche ich eisern meinen mir selbst auferlegten Trainingsplan zu erfüllen. Für einen planmäßigen Halbmarathon Testwettkampf findet sich im Februar allerdings kein passender Wettkampf. Im Rahmen eines Trainingswettkampfes will ich also einen Halbmarathon simulieren. Dafür bietet sich die Goitzsche an. Eine Seerunde geht über 25 Kilometer. Zwei Kilometer Einlaufen, Halbmarathon-Testlauf, zwei Kilometer Auslaufen. Soweit der Plan. Mit Andreas und Lars, zwei befreundeten Sportlern, startete ich am Bitterfelder Leichtathletikstadion. Während Lars eine sehr ruhige zehn Kilometer Wendepunktstrecke angehen will, nimmt sich Andreas ebenfalls die Seerunde vor.
„Kann ich mich auf dieser Runde verlaufen?“ Seine Frage, tue ich mit einem leichtfertigem Witz ab. Immer rechts halten rate ich ihm mit einem Grinsen (wir laufen die Runde im Uhrzeigersinn). Bereits nach wenigen Kilometern bin ICH es dann aber der sich verläuft. Ich biege zu früh ab und verlasse damit den Weg der Seerunde. Nach einem Umweg über fünf Kilometer finde ich zurück auf die planmäßige Strecke. Seit langer Zeit laufe ich wieder konstant unter 4:30 min/km im Schnitt. Im letzten Drittel der Strecke komme ich erneut vom Weg ab. Diesmal finde ich die Strecke nicht wieder. Einen Fluss, vor dem ich plötzlich stehe, durchwate ich ohne nachzudenken. Eiskaltes Wasser bei 3°C Außentemperatur. Als ich den Halbmarathon-Test erfolgreich beendet habe (1:35:40) führt mich dieser Weg in eine Sackgasse. Ich kehre um und durchwate den Fluss ein zweites Mal. Ich habe keine Ahnung mehr wo ich bin – mitten im Wald.
Ich biege wahllos mal links, mal rechts ab, denn ich kann mich gar nicht mehr konzentrieren. Ich habe mittlerweile 32 km auf der Uhr. Im Wald ist keine Mensch zu sehen und es herrscht völlige Stille. Ich habe keine Ahnung wo ich bin. Langsam mache ich mir Sorgen. Ich bin dehydriert und fürchte einen Hungerast, denn zum Frühstück hatte ich nur eine Banane. Ich habe weder Verpflegung noch ein Handy dabei. Da taucht vor mir eine Radfahrerin aus dem Wald auf. Ich halte sie an. Der nächste Ort ist zwar Bitterfeld- unser Ausgangsort – wie sie mir sagt, doch ich laufe in die entgegengesetzte Richtung. Ich muss umkehren. Es sind noch 30 min auf dem Rad sagt sie mir. Ich bin völlig fertig.
In meiner Verzweiflung frage ich die gute Frau, ob sie mich ein Stück auf Ihrem Gepäckträger mitnehmen würde. Das klingt jetzt im Nachhinein völlig verrückt, erscheint mir aber in diesem Moment sehr plausibel. „Wir können es gern versuchen“ sagt sie mit einem breiten Lächeln. Ich steige auf. Die Muskeln schmerzen. Ich merke sofort, dass sie keine Luft auf dem Hinterreifen hat. Wir fahren auf der Felge. Nach einigen Hundert Meter gibt Sie mir ihr Handy, so kann ich die beiden Kollegen, die sicher schon lange auf mich warten informieren. Währenddessen verrät mir meine Radlerin mit ihrem breiten Grinsen, dass sie auch Läuferin sei. Ich solle mit ihrem Rad nachkommen, sie läuft schon mal vor. Während sie losläuft, rufe ich mein eigenes Handy im Auto an. Glücklicherweise nimmt Lars ab. Er bringt mich nun völlig aus dem Gleichgewicht. Er schwört Stein und Bein, dass er mich eben am Auto vorbeilaufen sah. „Das glaube ich nicht“, sage ich schwach. Ich war doch die ganze Zeit allein im Wald. Ganz sicher bin ich mir aber nicht mehr.
Eine Verwechslung wie sich später herausstellt. Ich sage Lars er soll warten, ich komme. Dann steige ich auf das Damenrad ohne Luft im Hinterreifen und folge der nun laufenden Radlerin. Als ich sie einhole, ist sie außer Atem. Nun möchte sie sich auf den Gepäckträger setzen, während ich das Rad fahre. So machen wir es. Das muss ein Bild sein: Ich fahre abgekämpft auf einem Damenrad ohne Luft in den Reifen, eine Dame mit breitem Lächeln auf dem Gepäckträger. Nachdem ich mich ein wenig erholt habe und nun auch sicher wie ich zurück zum Auto komme, steige ich ab und laufe wieder. Meine Radlerin begleitet mich, immer noch mit einem breiten Lächeln, auf Ihrem Rad und wir unterhalten uns. Sie ist Schwimmeisterin in der Schwimmhalle zu Bitterfeld.
Sie kommt meinetwegen zu spät zur Arbeit stelle ich fest. Kein Problem sagt sie, die Kollegen sind nett. Sie hat im Wald einen Menschen ganz sicher vorm Hunger- und Kältetod gerettet schlage ich ihr als Entschuldigung vor. Sie lächelt nur. So legen wir gemeinsam die letzten Kilometer bis zum Auto zurück. Während Andreas schon seit 45 min da ist, wartet Lars schon seit 1,5 Stunden. Insgesamt habe ich wohl um die 38 Kilometer zurückgelegt. Vor dem Zorn von Andreas, der sich ebenfalls verlaufen und statt 25 ca. 30 Kilometer in den Beinen hat, hat mich nur mein eigenes schlimmeres Schicksal gerettet. Nach ein paar Minuten und einem alkoholfreiem Bier lachen wir auf der Heimfahrt gemeinsam über diese unglaubliche Geschichte. Aber ich schwöre: Genau so hat es sich zugetragen!
Was habe ich gelernt?
Keine laaaaangen Läufe: …
- …In unbekanntem Gelände
- …ohne Blick auf die Karte
- …ohne Notverpflegung
- …ohne Handy
Besseres Mentaltraining als ein Training, bei dem man nicht weiß wohin und wie weit es noch geht ist schwer zu planen 🙂 (frei nach Brett Sutton)
Die Menschheit ist noch nicht verloren, solange es so nette positive Leute wie diese Radlerin gibt. Danke fürs Retten!
Ein Gedanke zu „Per Anhalter auf dem Damenrad“